Veranstaltung:
Kollegienhaus, Hörsaal 001
"Gegen-Epistemologie. Grenzziehungen zwischen Verschwörungstheorien und Gesellschaftskritik"
Ob Corona- oder Klimakrise – die großen gesellschaftlichen Debatten der Gegenwart kreisen um den Status der Wirklichkeit. Ein fundamentaler Zweifel, der unhinterfragte Tatsachenwahrheiten destabilisieren möchte, wird zu einem Instrument „postfaktischer“ Politik. Die interdisziplinäre Ringvorlesung versucht sich der hartnäckigen, teils verstörenden, teils belustigenden Behauptung „alternativer Tatsachen“ aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven anzunähern. Neben sozialwissenschaftlichen Ansätzen, die sich mit den gesellschaftlichen Folgen und den politischen Verwerfungen von Falschnachrichten und Verschwörungstheorien beschäftigen, sind es literaturwissenschaftliche und philosophische Fragestellungen, die vor diesem Hintergrund eine gesellschaftsdiagnostische Kraft entwickeln: Was ist Fakt? Was ist Fiktion? Gibt es überhaupt eine klare Trennlinie zwischen beiden? Und wenn ja, wie wird diese narrativ konstruiert? Die Ringvorlesung gliedert sich in drei Teilbereiche, um diese Fragen mit hiesigen und internationalen Expertinnen und Experten zu bearbeiten. Erstens diskutiert sie die Beschaffenheit und die Ausformungen einer "postfaktischen Rhetorik". Im Fokus stehen hier das epistemische Gefüge von Wissensordnungen, spezifische Instrumente wie etwa Halbwahrheiten, Gerüchte, „Bullshit“, aber auch die Debatte, ob und inwiefern „die Postmoderne“ mit ihrer subversiven Infragestellung von Wissen und Gewissheit zur Konjunktur des Postfaktischen beigetragen hat. Zweitens widmet sich die Ringvorlesung "Konspirationserzählungen". Konspirative Narrative wie z.B. Verschwörungstheorien erfordern eine Untersuchung dessen, wie das Fiktive im faktualen Erzählen heimisch wird; und wie Geschichten, die eigentlich zu unglaublich sind, um wahr sein zu können, oder aber gerade umgekehrt eine Glaubwürdigkeit liefern, die einer überkomplexen Realität abgeht, an Popularität gewinnen. Drittens widmet sich die Ringvorlesung literarischen Verfahren, die "zwischen Fakt und Fiktion" oszillieren. Während in politische Diskurse das Fiktive einwandert und als Bedrohung des sozialen Zusammenhaltes wahrgenommen wird, scheint es in der Gegenwartsliteratur umgekehrt zu sein: Der Reiz des Faktischen, des Genres der Autofiktion oder der Dokufiktion sind ungebrochen. Diese Textsorten, die sich unverhohlen auf die Wirklichkeit beziehen, stellen narrative Erzeugungsweisen von Fakt und Fiktion aus, und können als ästhetische Bearbeitung einer Wirklichkeitserfahrung gelesen werden, in der eben diese Dichotomie umkämpft ist.
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