Von der Anekdote zum Hashtag. Perspektiven auf die politische Kommunikation kleiner (literarischer) Formen
Call for Papers
Tagung, Universität Basel 24./25.9.2020
Organisation: Lea Liese, Yashar Mohagheghi, Rebecca Lötscher
Diese interdisziplinär ausgerichtete literaturwissenschaftliche Tagung fragt nach den politischen Implikationen kleiner (literarischer) Formen und Formate sowie nach Epistemologien des Kleinen aus insbesondere medientheoretischer und kultursoziologischer Sicht.
Kleinen Formen inhäriert aufgrund ihrer spezifischen Medialität ein politisches Moment. Einerseits durch ihre Kürze, andererseits durch ihre Einbettung in ‚fluide‘ Formate, wie etwa der Zeitung, besitzen sie lebensweltlichen Anschluss und nutzen knappe Aufmerksamkeitsressourcen. Im Unterschied zum Eintauchen in das abgeschlossene Fiktionsuniversum des vollendeten Werkes ermöglichen kleine Formen Dialogizität.
Während die Interferenz von Lesen und Schreiben, Rezipieren und (Weiter-)Erzählen zunächst als demokratisch erfahren wird, lässt sich in kleinen Formen häufig ein Umschlagmoment ausmachen, in dem dialogische Anschlusskommunikation in Agitation, rationaler Diskurs in Beeinflussung umschlagen. Genutzt wird dabei das Potenzial, einen Gegendiskurs zum politischen Status quo zu etablieren. So gilt etwa die Anekdote als Form einer alternativen Geschichtsschreibung, die auch dem ‚Kleinen‘ und Peripheren zur Repräsentation verhilft. Um 1800, vor dem Hintergrund der Napoleonischen Kriege und Preußischen Reformen, avanciert sie, ähnlich wie Einfache Formen (v. a. Witz und Sage), in geselligen Vereinigungen und in Zeitungsmedien zum zensurtauglichen, nationalistischen Propagandamittel. Auch um 1900 wird im Zuge technischer Beschleunigung und medialer Zurüstung im ‚nervösen‘ Großstadtraum das unterschwellige Manipulationspotenzial kleiner Formen thematisiert.
Die Tagung möchte hier vor allem das Wechselverhältnis von Aufmerksamkeitsökonomien und kleinen Formen bzw. Formaten fokussieren. Ab wann schlägt die für eine demokratische Debattenkultur und eine emanzipatorische Dialogizität förderliche brevitas (etwa in Aphorismus, Maxime etc.) in einen agitatorischen Reizmechanismus um (etwa in Reklame, Plakat etc.)?
Im 21. Jahrhundert sind kleine Formen im digitalen Kontext in den Blick geraten: (Mikro-)Blogging, soziale Foren etc. zielen auf eine schnelle und zugespitzte Kommunikation. Bereits Adorno und Horkheimer kritisierten die beschleunigte Diffusion und mithin Aneignung von zirkulierenden Schlagworten in den Massenmedien. Heute erfüllen Hashtags diesen Mechanismus annähernd in Echtzeit und ziehen damit beschleunigte Diskursbesetzungen und (Gegen-)Bewegungen nach sich. So wird jüngst vor allem der antidemokratische Effekt allgemein zugänglicher Kommunikation bemängelt, insofern sie vielmehr einer Produktion und Verbreitung von Fake News Vorschub leiste.
Um das Politische kleiner Formen in den Blick zu nehmen, möchte die Tagung vor allem den Aspekt der Gradualität kleiner Formen diskutieren, die insbesondere auf die Interferenz von Literatur und Lebenswelt hinausläuft. Als Beiträge denkbar sind etwa Untersuchungen zur Korrelation von Mündlichkeit und Schriftlichkeit kleiner Formen und Formate; Studien aus der Bild- und Objektgeschichte, deren Fokus auf der Bildlichkeit und/oder Materialität des ‚Kleinen‘ liegen; Überlegungen zu den Bedingungen alltagspraktischer Wissensverbreitung, und zur Demarkation zwischen (politischer?) Diskursivität und (unpolitischer?) Selbstexpression bzw. Infiltrierung.
Als Keynote-Speaker*innen dürfen wir Prof. Dr. Andreas Bernard (Lüneburg) und Prof. Dr. Claudia Öhlschläger (Paderborn) willkommen heißen.
Interessierte werden gebeten, bis zum 20.01.2020 an die folgenden E-Mail-Adressen ein Abstract von etwa 300 Wörtern sowie einen kurzen akademischen Lebenslauf einzureichen: lea.liese@unibas.ch; y.mohagheghi@germlit.rwth-aachen.de; r.loetscher@unibas.ch