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Sprache in der Videoanalyse
Die Linguistinnen Lorenza Mondada und Sara Keel untersuchen am Fachbereich Französische Sprachwissenschaft, wie Menschen in Gruppen sprechen und wie sie sich verhalten. Anhand von Filmaufnahmen von Versammlungen zeigen sie: Demokratie basiert auf menschlicher Interaktion.
Wenn die «hohen Tiere» sprechen, sind alle Kameras auf sie gerichtet. Eilig kommentieren Journalisten, wie sie gekleidet sind, wie sie gestikulieren, wie das Publikum auf sie reagiert, oftmals analysieren später dann noch Wissenschaftler ihre Auftritte. Doch was passiert, wenn die «kleinen Leute» das Wort ergreifen? Dieser in der Forschung lange vernachlässigten Frage widmete sich das Team von Professorin Lorenza Mondada im Nationalfondsprojekt «Speaking in public: Social interactions within large groups», das die Sprachwissenschaftlerinnen kürzlich abgeschlossen haben.
Dabei richteten sie den Fokus auf die Interaktion der Teilnehmer an partizipatorisch organisierten Quartiergesprächen, Pressekonferenzen oder Demonstrationen. «Wir haben gezeigt, dass solche Versammlungen den ‹petites gens›, den ‹kleinen Leuten›, die Gelegenheit bieten, das Wort zu ergreifen», sagt Mondada. «Sie sollten diese Gelegenheit wahrnehmen, denn wenn sie sie vorbeiziehen lassen, geht etwas verloren, ich würde sogar sagen: dann geht ein Stück Demokratie verloren.»
Einzigartige Daten
Die Grundlage des Projekts bildeten Filmaufnahmen aus Lyon und Fribourg. In der französischen Grossstadt hielt Lorenza Mondada während sieben Jahren Versammlungen fest, die sich der Gestaltung eines Parks widmeten. Damit schuf sie eine audiovisuelle Dokumentation von einzigartiger Dichte und Qualität. In Fribourg richtete derweil ihre Kollegin Dr. Sara Keel die Kamera auf Demonstrationen und Pressekonferenzen von «Sans Papiers».
Die Postdoktorandin ist immer noch beeindruckt vom sprachlichen Geschick der Migranten, die sich 2001 zu einer Protestbewegung formiert hatten. «Anhand von kommunikativen Details lässt sich beobachten, wie sich diese an sich rechtslosen Menschen politisch organisierten und wie sie zum Sprachrohr einer grösseren Gruppe wurden», erklärt Keel. So habe beispielsweise ein Junge den Zuhörern in einem einzigen Teilsatz klar gemacht, warum Kinder von «Sans Papiers» ein Recht auf Bildung haben: «die Schule ist für alle Kinder da.»
«Kondensat der Demokratie»
Der Fachbereich Französische Sprachwissenschaft zählt im Bereich der Konversationsanalyse zur internationalen Spitze. Eine Stärke liegt in der multimedialen Transkription, die Professorin Mondada entwickelt hat. Dabei begleiten Standbilder aus den Filmaufnahmen die Niederschrift der Tonspur und die Beschreibung der Körperhaltung. Die aufwendigen Transkripte unterziehen die Forscherinnen Mikroanalysen, die sich beispielsweise dem Ablauf eines partizipativen Quartiertreffens in Lyon widmen.
In detailreichen Beobachtungen halten die Forscherinnen unter anderem fest, wie sich Teilnehmer untereinander absprechen, was sie der Gruppe mitteilen und was schliesslich vom Moderator auf einem Flipchart festgehalten wird.
In so einer Versammlung zirkuliere das Wort, erklärt Mondada, sie sei eine leibhaftige Miniatur des abstrakten Gedankens Demokratie. Was schliesslich als Lösungsvorschlag auf dem Flipchart festgehalten werde, sei «eine Art Kondensat der Demokratie: eine kollektive Leistung».
Soziale Grundlagenforschung
Im Rahmen des vierjährigen SNF-Projekts sind zahlreiche Paper, ein Buch sowie die Dissertationen von Hanna Svensson und Nynke van Schepen entstanden. Nun wollen die Basler Sprachwissenschaftlerinnen die Konversationsanalyse auf weitere Beispiele anwenden und ihre Methode dabei weiterentwickeln.
Eine Chance dazu bietet das Nachfolgeprojekt «From Multimodality to Multisensoriality», das im Frühling beginnt. Dabei wird die soziale Interaktion in der Gastronomie anhand von Filmaufnahmen von Köchen, Käseverkäufern oder Metzgern analysiert werden.
Vorerst stehe für sie das «wie» vor dem «warum», betont Mondada. Sie möchte keine Ratgeber mit Rhetorik- oder Verhaltenstipps verfassen – obwohl sie dies durch ihre Erfahrung könnte – sondern festhalten, wie Menschen miteinander interagieren. Indem die Linguistinnen beschreiben, wie Menschen in verschiedenen Situationen interagieren, gehen sie dem sozialen Handeln auf den Grund.
Quelle: News Uni Basel