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Neues SNF-Projekt: L’italiano istituzionale svizzero: analisi, valutazioni, prospettive

Das Seminar für Italianistik hat im März eine beträchtliche Finanzierung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) erhalten, um das amtliche Schweizerische Italienisch zu untersuchen, d. h. das Italienisch, welches von den nationalen (legislativen, exekutiven und teilweise auch juristischen) und kantonalen (in den Kantonen Tessin und Graubünden (exekutiven und legislativen)) Bundesbehörden geschrieben und gesprochen wird. Das Projekt wurde von Prof. Dr. Angela Ferrari, in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Filippo Pecorari, vorbereitet. Es sieht die Teilnahme der italienischen Abteilung der Schweizerischen Bundeskanzlei vor, vertreten durch Jean-Luc Egger, stv. Leiter der Sektion Gesetzgebung und Sprache.

Welches ist der Grund für dieses Forschungsprojekt?

Italienisch ist die dritte offizielle Landessprache der Schweizerischen Eidgenossenschaft: Ihre Eigenschaften zu studieren und ihren Gesundheitszustand einzuschätzen ist für jemanden, der sich mit italienischer Sprachwissenschaft beschäftigt und in einer Schweizer Universität arbeitet fast natürlich. In den letzten Jahren ist dem helvetischen Italienisch, auch dank der am Osservatorio Linguistico della Svizzera Italiana getätigten Forschungsarbeit eine gewisse Aufmerksamkeit zugekommen: Man hat z.B. das in Unternehmen eingesetzte Italienisch untersucht, sowie das Italienisch des Internets und dessen Beziehung zum Tessiner Dialekt. Es gibt aber noch sehr wenige Studien, welche sich mit dem amtlichen Italienisch der Schweiz beschäftigen, das Italienisch, mit welchem sich die Schweiz Europa und der Welt präsentiert.

Welches sind die Ziele dieser Forschungsarbeit?

Indem wir uns auf quantitative und qualitative Analysen abstützen, möchten wir Antworten auf folgende Fragen finden: Wie ist das Italienisch unserer Gesetzgebung? Welches ist das Italienisch der Bundesverwaltungen (Bern und Bellinzona) und der Kantone (Tessin und Graubünden) oder, mit  anderen Worten, wie kommuniziert der Bund mit seinen italophonen Bürgern? Welches ist das Italienisch, das von unseren Politikern an offiziellen Anlässen gesprochen oder im Internet verwendet wird? Bundesweit ist Italienisch oft das Resultat von Übersetzungen aus dem Deutschen oder Französischen: Wie sind diese Übersetzungen?

Um diese Fragen beantworten zu können, werden wir einen Korpus mit über 1'000’000 Wörtern aufbauen, zur Analyse linguistischer (Lexik, Grammatik), textueller, pragmatischer und soziolinguistischer Aspekte. So werden wir die Spezifika des offiziellen helvetischen Italienisch bestimmen können. Mit Bezug zur politischen, sozialen und kulturellen Schweizer Realität werden wir nicht nur sagen können, wie das amtliche Italienisch ist, sondern auch warum es so ist. Wir werden also von der Beschreibung zur Erklärung des Status quo übergehen können.

Ihr werdet also nicht nur beschreiben, sondern auch (aus)werten…

Natürlich, denn die Auswertung der Daten wird eine wichtige Rolle spielen. Dank der Resultate werden wir sicherlich konkrete Initiativen zur Verbesserung der Qualität von offiziellen italienischen Dokumenten der Schweizer Behörden ergreifen können. Besagte Auswertung beruht auf dem Vergleich mit anderen Arten von offiziellem Italienisch: Mit jenem, das in der italienischen Republik und in politischen und administrativen Ämtern der Europäischen Union gesprochen und geschrieben wird. Wir wissen bereits, dass es markante Unterschiede zwischen den verschiedenen Spracharten gibt…

Zum Beispiel?

Die grösste Problematik, welche das juristisch-administrative Italienisch der italienischen Halbinsel hat, ist dessen schwieriger, komplexer Charakter und seine starke Bindung zur traditionellen literarischen Vergangenheit, welche, in mancherlei Hinsicht, ein “altes”, überholtes Italienisch hervorbringt. Die Problematik des offiziellen Schweizer Italienisch ist nicht die gleiche. Klar, auch dieses hat gewisse bürokratische Tics, welche es vom Standard-Italienisch unterscheiden; aber seine grösste Schwierigkeit resultiert aus der Tatsache, dass es mehrheitlich aus deutschen und französischen Übersetzungen entsteht: was das Risiko birgt, dass es sich auf fremden linguistischen Strukturen “bettet”.

Niemand will das Recht auf eine eigene helvetische Identität des Italienischen bestreiten: Im Gegenteil, dies ist ein wichtiges Merkmal, das es zu bewahren gilt. Es muss aber darauf geachtet werden, dass die Grundidentität der Sprache nicht verloren geht…

Wird Ihre Untersuchung auch eine geschichtliche Komponente haben?

Ja, wir werden auch einen Vergleichskorpus aufbauen, welcher uns von den 80er Jahren zum heutigen Tag führt, quer durch die vergangenen Jahrzehnte. Wenn man über die italienische Sprache reflektiert, ist diese diachronische Öffnung unumgänglich. In den letzten 50 Jahren hat sich das Italienisch stark verändert, sowohl in Italien als auch in der Schweiz: es ist viel demokratischer und moderner geworden. Seine sprachwissenschaftliche Geschichte hat es nämlich erst ab den 70er Jahren zur Sprache “aller” entwickeln lassen, schriftlich und mündlich. Davor war es die Sprache der schriftlichen Form und der Gebildeten; gesprochen wurde auf Dialekt (ticinese, milanese, siciliano, napoletano…). Da ist es doch nur selbstverständlich, dass man hinterfragt, ob sich in den letzten 40 Jahren nicht auch das Italienisch der Behörden verändert hat, ob es nicht auch demokratischer und moderner geworden ist.

Wird in Ihrer Studie auch der Dialog zwischen Behörden und Bürgern in den sozialen Medien untersucht werden?

Heutzutage ist es in fast allen Ländern der Welt so, dass ein grosser Teil der amtlichen Kommunikation im Netz stattfindet - da bildet die Schweiz keine Ausnahme. Es wird für uns also unvermeidbar sein, die in den Social Medias verbreiteten Texte miteinzubeziehen. Wir werden diese mit der Untersuchung eines Mini-Korpus von 100’000 Wörtern berücksichtigen. Dieses wird aus einer Sammlung von Texten der amtlichen Konten der Social Networks (Facebook, Twitter, Instagram) der Bundesverwaltung zusammengestellt werden. Dieser Teil der Analyse wird vor allem wichtige Beobachtungen über die von den Bürgern verwendete Sprache im Dialog mit den Institutionen erlauben, in einem relativ informellen Umfeld: Wir werden, z.B., sehen können, welches die Formen von Konsens und Dissens der Bürger im Zusammenhang mit Aussagen von Politikern sind. Wir gehen davon aus, dass die Kommunikation via Social Media sich anders verhält als jene Face-to-face.