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Ein Leben als spektakuläre Achterbahnfahrt
Fjodor Dostojewskij zählt zu den Klassikern der russischen Literaturgeschichte. Seine Biografie ist ebenso spannend wie seine Bücher. Andreas Guski, emeritierter Professor für Slavische Philologie, beleuchtet das Leben des Schriftstellers zwischen Triumph und Arbeitslager, zwischen Erfolg und Spielsucht in einer neuen Biografie.
Er lebte ein Leben der Extreme: Mit den «Armen Leuten» (1846), seinem ersten grossen Prosatext, katapultiert sich der erst 24-jährige Fjodor Michailowitsch Dostojewskij (1821–1881) an die Spitze der russischen Literatur, mit dem «Doppelgänger» aus demselben Jahr droht dem Senkrechtstarter dann gleich wieder der Absturz. Nur drei Jahre später wird er aus politischen Gründen verhaftet, zum Tode verurteilt und in allerletzter Minute begnadigt. Nach zehn Jahren Exil in Sibirien beginnt er sein literarisches Comeback. Von Schulden erdrückt, flieht er vor seinen Gläubigern ins Ausland, vor der materiellen Not ins Glücksspiel.
«All das spiegelt sich in Dostojewskijs Texten wider – wenn auch in transformierter Form», sagt sein aktueller Biograf Andreas Guski: die Scheinhinrichtung, das Zuchthaus, vier Jahre Knast, Kettenhaft und Zwangsarbeit unter fürchterlichsten Bedingungen, oder die Epilepsie zum Beispiel. Auch Dostojewskijs Figuren stürzen in äusserste Verzweiflung und erleben rauschhafte Momente von Auferstehung und Erlösung. «Kaum jemand hat so tief in Abgründe geblickt, wie er.»
Ein Lebensprojekt
Bei vielen stehen Dostojewskijs Romane auf der langen Liste der ungelesenen Bücher, die man doch eigentlich gelesen haben sollte, darunter «Schuld und Sühne» oder «Die Brüder Karamasow». Guski, bis 2008 Professor für Slavische Philologie in Basel, hat eine einfache Erklärung für diese Hemmschwelle: «Zu lang!»
Andreas Guski begegnet dem Autor zum ersten Mal im Deutschunterricht der Gymnasial-Oberstufe in Berlin. Dort liest er die Legende «Der Grossinquisitor». «Und die hat mich richtig umgehauen», sagt er. Seitdem habe ihn der russische Autor nicht mehr losgelassen. In gewisser Weise sei diese Biografie darum auch ein Lebensprojekt, gibt Guski zu. «Merkwürdig, da der Mann mir als Typ nicht unbedingt sympathisch ist. Wenn ich mich frage, mit wem ich gerne zwei Wochen auf einer einsamen Insel verbringen würde, dann sicherlich nicht mit Dostojewskij.» Dostojewskij sei kein schlechter Mensch, aber auch kein besonders angenehmer Zeitgenosse gewesen: «Er war hysterisch, reizbar, nervös, ungerecht, knauserig und hat auch nicht viele Freunde gehabt.»
Monument der russischen Literatur
«Dostoewskij hat immer polarisiert», sagt Andreas Guski. «Für so einen Mist habe ich einfach keine Zeit», meinte etwa Lenin, und Sigmund Freud warf dem Schriftsteller vor, es versäumt zu haben, «ein Lehrer und Befreier der Menschen zu werden, er hat sich zu ihren Kerkermeistern gesellt».
Die überwiegende Mehrheit der Leser und Literaturhistoriker jedoch, hält Dostojewski für einen der grössten Schriftsteller der Literaturgeschichte: Er schrieb publikumswirksame, kriminalistische Romane, war ein hervorragender Psychologe und Metaphysiker des Verbrechens, und er war ein Erneuerer der Literatur.
Und von seiner Aktualität hat er bis heute nichts verloren, ist Guski überzeugt. Dostojewskij sei ein «Autor der Krise», für die Helden und Handlungen seiner Romane gilt dies ebenso wie für die Konjunkturen seiner Rezeption. «So wie Dostojewskij die kulturellen Krisen Russlands und Europas im 19. Jahrhundert literarisch auf den Punkt gebracht hat, treffen seine Werke noch immer wunde Punkte unserer (post)modernen Welt: das Verhältnis von Wissen und Glauben, von Leib und Seele, von Individuum und Gesellschaft, von Gesellschaft und nationaler und transnationaler Identität, um nur einige zu nennen. Dostojewskij passt ins Krisenklima auch unserer Tage.» Und: Je mieser die Zeiten, desto stärker das Interesse am Werk des Autors oder vielmehr an den zerrissenen Figuren, so Guski.
Andreas Guski: Dostojewskij. Eine Biografie. C.H. Beck Verlag, München 2018, 460 Seiten, 28,00 € / 39,90 CHF.
Quelle: Uni News